Die freiwilligen Helfer*innen aus Kiew und Zhytomyr warten am Samstag den 12. März seit Stunden im ukrainischen Grenzort Shehyni auf den medizinischen Hilfskonvoi aus Deutschland. Der LKW und der randvoll gepackte VW-Bus stehen jedoch seit den Mittagsstunden auf der polnischen Seite im Grenzort Medyka im Stau und warten darauf die Grenze passieren zu dürfen. Mehrere Tonnen Medikamente, medizinisches Material, Windeln und Lebensmittel haben Michael Otto und seine ukrainische Ehefrau Olga aus Eberswalde in dem gemieteten LKW geladen und auch der VW-Bus von Unterstützern aus Berlin ist voll mit Medikamenten. Doch die Grenze ist dicht.
Sie ist auf ukrainischer Seite verstopft durch Autos und LKW, die mit Hilfsgütern aus ganz Deutschland und sogar aus Österreich, der Schweiz und Großbritannien zur Grenze gekommen sind, um den ukrainischen Grenzsoldaten ihre Lieferungen zu übergeben. Dies führt dazu, dass diese gut gemeinten Lieferungen in der Grenzanlage entladen und sortiert werden und die Ukrainer müssen dann LKW für den Weitertransport organisieren. Dieses Chaos belegt im Grenzübergang gleich mehrere Spuren. Dabei gibt es auf einer Raststätte 60 Km vor der Grenze doch einen Umschlagplatz für Hilfsgüter. Dort wird alles auf LKW verladen und unkompliziert mit Speditionen in die Ukraine gebracht.
Hinzu kommt eine komplizierte Grenzbürokratie, mit der die Ukraine verhindern will, dass unerwünschte Personen oder Waren ins Land gebracht werden. Das alles verursacht für alle, die die Grenze passieren müssen, Wartezeiten von bis zu 12 Stunden und mehr.

Copyright: Christian-Ditsch.de
So auch für einen Transportkonvoi von 20 Rettungswagen und unzähligen Rettungssanitäter*innen aus Niedersachsen. Sie sollen auf ukrainischer Seite Kinder mit körperlichen und geistigen Handycaps abholen, die aus Kiew evakuiert wurden und nun in einem Eisenbahnwagon ausharren müssen. Die Kinder sollen in eine Pflegeeinrichtung am Bodensee gebracht werden. Aber, die Rettungssanitäter*innen müssen nach 12 Stunden Wartezeit ihr Vorhaben abbrechen. Sie werden am nächsten Tag erneut versuchen die Kinder aus der Ukraine zu holen.
Nach fast 8 Stunden ist der Hilfskonvoi der Ottos endlich in der ukrainischen Grenzstation Shehyni. Zoll- und Grenzsoldaten, alle mit Kalaschnikows bewaffnet, inspizieren mehrfach die zwei Fahrzeuge. Die Pässe werden genauestens geprüft und mehrfach muss Olga Otto erklären, dass die Lieferung eine Bestellung vom Krankenhaus in Zhytomyr ist und die deutsche Botschaft dies auch bestätigt hat. Parallel zu den Verhandlungen mit den Zoll- und Grenzsoldaten hängt Olga Otto dauernd am Telefon. Versucht die entsprechenden Stellen zu erreichen, um Druck auf die örtlichen Zoll- und Grenzsoldaten zu machen.
Dabei treibt Olga Otto vor allem die Angst um die Familie um. Ein Teil der Familie von Olga Otto lebt in in der Nähe der Zhytomyr, etwa 150 Kilometer vor Kiew. Manche von ihnen arbeiten in der Stadtverwaltung und wollen nicht weg. „Die Menschen brauchen uns doch“, sei ihre Erklärung erzählt Michael Otto. „Dabei hätten die hier Jobs und Wohnung. Hab ich alles organisiert. Aber die wollen bleiben.“
Vom Krankenhaus in Zhytomir haben die Ottos eine Liste mit dringend benötigten Dingen bekommen. Antibiotika, Verbandsmaterial, Medikamente, medizinisches Material, Windeln und Lebensmittel. Aber ohne ein Papier von Krankenhaus weigern sich die Grenzsoldaten, die Fahrzeuge passieren zu lassen. Das die Lieferung über die Botschaft in Kiew angemeldet war interessiert sie nicht. Es sei ein neues Gesetz, wonach jede Bestellung schriftlich und mit Stempel sein muss. Nach nervenaufreibenden zwei Stunden wird der Konvoi endlich freigegeben und darf die Grenze passieren.

Copyright: Christian-Ditsch.de
Kaum sind die zwei Fahrzeuge über die Grenze in der Ukraine angekommen, wartet dort das nächste Problem. Der winzige Grenzort Shehyni ist hoffnungslos überfüllt. Überfüllt mit Menschen auf der Flucht, Reisebussen mit Flüchtenden und Evakuierten, LKWs und Autos. Ein Durchkommen ist für den Hilfstransport durch die verstopfte Straße nicht möglich. Dabei sollte die Übergabe zwei Kilometer weiter im Landesinneren stattfinden, aber der LKW kann die Straße nicht fahren, kein Platz für den 7,5 Tonner.
Ein Soldat kommt zur Hilfe und erzählt von einem Parkplatz in einer Seitenstrasse. Im Schritttempo rangiert Michael Otto den gemieteten LKW dort hin. Olga Otto versucht derweil die Helfer*innen aus Kiew und Zhytomyr telefonisch zu erreichen, da der Übergabeort geändert werden muss. Nicht leicht bei dem überlasteten Netz, doch irgendwann bekommt sie Kontakt, erreicht die jugendlichen Ukrainer*innen und erklärt ihnen wo sie die Medikamente und anderen Hilfsgüter übernehmen können.
In Windeseile wird in der Dunkelheit und bei beissender Kälte auf dem Parkplatz ausgeladen, sortiert und auf die Autos verteilt.
Die jungen Ukrainer*innen packen zügig an, sie haben einen langen und gefährlichen Rückweg von über 11 Stunden und ca. 600 Kilometern bis vor sich. „Normaler Weise wäre das viel weniger, aber jetzt, …“ meint schulterzuckend einer der Jugendlichen. Dabei wollten einige eigentlich zum Militär, aber sie seien noch zu jung. Keiner von ihnen scheint älter als 22 Jahre zu sein. So helfen sie nun auf diese Art und Weise.
Irgendwann wird klar, die drei Neunsitzer-Busse können die ganzen Lieferung nicht aufnehmen. Wieder wird telefoniert und irgendwann ist ein weiteres Auto organisiert. Es soll irgendwann in der Nacht noch kommen und den Rest einladen.

Copyright: Christian-Ditsch.de
Als alles entladen und der Großteil der Hilfslieferung verstaut ist, wollen die Jugendlichen unbedingt noch ein Gruppenfoto und natürlich Selfies mit den Ottos und deren Helfern. Dann geht es wieder zur Grenze.
Dank einer der Jugendlichen aus Zhytomyr macht der Soldat, der schon den Tip mit dem Parkplatz hatte, im Stau Platz für den Hilfstransport und die zwei Fahrzeuge dürfen sich direkt vor der Grenze einreihen. Anderenfalls hätten sie ca. 20 Stunden in der Warteschlange stehen müssen, bevor sie wieder zurück nach Polen hätten fahren können.
Die Ausreise zieht sich aufgrund penibelster Durchsuchungen der Fahrzeuge wieder um Stunden hin. Jedes Auto, jeder Reisebus wird erst von den ukrainischen und dann von den polnischen Grenzsoldaten akribisch durchsucht. Die einen wollen verhindern, dass „wehrfähige Männer“ das Land verlassen, die anderen wollen verhindern, dass Waren unverzollt in die EU gelangen. Selbst der Benzinstand in den Tanks in der Autos wird von den polnischen Grenzern abgefragt. Als ob es unter diesen Umständen allen Ernstes Tanktourismus gäbe!
Derweil stehen hunderte flüchtende Menschen, zum Teil in Rettungsdecken eingehüllt und frierend, am Grenzübergang für Fußgänger*innen, in der Kälte. Links und rechts von ihnen meterhohe Metallzäune mit Natodraht. Sie haben nicht das Privileg ein Auto oder das Glück einen Busplatz zu haben. Ukrainische Helfer*innen versorgen sie, soweit es geht mit Tee, bevor sie in das Abfertigungshaus mit den zwei Schaltern eintreten dürfen. Über allem liegt eine beklemmende Stille, in der einzig Motoren der Autos in der Grenzkontrolle zu hören sind, die bei den Minusgraden laufen.

Copyright: Christian-Ditsch.de
12 Stunden nachdem der Hilfstransport von Michael und Olga Otto in Polen versucht hat über die Grenze zu kommen, ist zumindest für den VW-Bus des Hilfstransport die Grenze endlich offen und sie können wieder in die EU fahren. Der LKW mit den Ottos wird erst Stunden später passieren dürfen und sie kommen ca. 60 Stunden nachdem sie in Eberswalde aufgebrochen sind wieder zu Hause an. Das wird sie jedoch nicht daran hindern, am Wochenende drauf wieder loszufahren.
So wie unzählige Menschen seit Kriegsbeginn unterwegs sind um zu helfen. Aus Polen, Deutschland, Italien, Österreich, Großbritannien, Frankreich der Schweiz, Norwegen und Portugal kommend versuchen sie mit Lebensmitteln, Medizin und Kleidung zu helfen.
Es sind aber auch Menschen mit eindeutig anderen Interessen unterwegs. Unter anderem Polen, die mit Pickups Munitions- und Waffenkisten in die Ukraine fahren. Die Fahrzeuge passend verziert mit Flecktarn besprüht und Aufklebern mit eindeutigen Parolen in Polnisch wie „Slawa Ukraina“ (Ruhm der Ukraine) und „Putin Chuilo“ (Putin is a dickhead).
Auch Deutsche mischen in der „privaten“ militärischen Unterstützung von „Freiwilligen Kämpfern“ mit. Eine Gruppe namens „Ukrainian Armed Forces Volunteer Corps“ aus Niedersachsen bringt „bestellte militärische Ausrüstung wie Schutzwesten, Stiefeln und anderes“ über die Grenze und überführt bei der Gelegenheit gleich noch zwei Toyota Allrad-Pickups für die „Freiwilligen Kämpfer“.
All das ist allerdings nur der offen gezeigte, winzige Teil der militärischen Unterstützung. „Der Großteil wird ungesehen mit Speditionen und auf anderen Wegen über die Grenze gebracht“, so ein ehemaliger US-Militärmitarbeiter.

Copyright: Christian-Ditsch.de
All das macht mich irgendwie wütend und sprachlos. Ich habe keine Antwort auf diesen Irrsinn. Nur einen unrealistischen Wunsch. Wenn diese Vollpfosten sich unbedingt wie Neandertaler benehmen wollen, warum nehmen die sich dann nicht eine Keule und verabreden sich irgendwo auf einer einsamen Insel, schlagen sich die Köpfe ein und lassen die Menschen in Frieden miteinander leben. Ohne Grenzen. Nicht in den Köpfen und auch nicht sonstwo.
Das alles sind nur subjektive Eindrücke, Gesehenes und Gehörtes. Ich kann nicht über alles was sich an der polnisch-ukrainischen Grenze abspielt schreiben, weil ich nicht alles gesehen und gehört habe. Es fehlt ganz viel, um ein vollständiges Bild zu geben.
P.S. Ich muss mich bei den Neandertalern entschuldigen. Diesen Vergleich haben sie nicht verdient!