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Auf der Sea Watch-2 | 22.10.2016 | Teil 3

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Hilflos und das gute Ende

Wie soll man über solch einen Tag wie gestern schreiben? Ich kann nicht wirklich in Worte fassen wie es ist, wenn man hilflos zusehen muss, wie Leute ertrinken weil der Wind Schwimmwesten die über Bord geworfen werden nicht weit genug fliegen lässt. Im Dunklen herrscht Panik im Wasser rund um das Schiff. Das Schlauchboot sinkt und wir durften keine Schwimmwesten verteilen. Die libysche Küstenwache wusste sehr genau was das wird, als sie prügelnd versuchten vom Schlauchboot der Geflüchteten den Aussenbordmotor zu klauen. Höhnisch grinsende Männer auf Deck, einer mit Maschinengewehr. Die Flüchtlinge werden nicht mal behandelt wie Dreck, den behandeln die Typen von der Coast Guard wahrscheinlich noch mit Respekt.
Ich bin froh, dass ich nur das Boot sichere aus dem die vier Toten an Bord gebracht werden. Durch das Wasser-Benzingemisch rund um das Schiff sind die Leichen nicht richtig anzufassen.
Da hilft es leider nur sehr wenig, dass wir gestern ca. 900 Menschen gerettet haben. Ein kleiner Trost. Aber wirklich gut fühlt sich das nicht an.

Sea Watch | 13. SAR-Mission

Geflüchtete werden zum Tanker Okyroe aus Maduro gebracht. 21.10.2016, vor der Küste Libyens.

Den ganzen Tag haben wir Geflüchtete in ihren Schlauchbooten mit Rettungswesten versorgt und zu einem Tanker gefahren, der schon in der Nacht Menschen aufgenommen hat. Der Kapitän hatte angeboten die Menschen nach Italien zu bringen. Arbeit hilft gegen zu viel Grübeln. Irgendwie. Immer wieder sind die Schlauchboote so überfüllt, dass wir nicht an alle Menschen Rettungswesten ausgegeben können. Jede Weste braucht Platz und wenn ein Boot schon überfüllt ist, dann werden irgendwann die Menschen durch die Westen erdrückt, sacken zusammen und ersticken in der Brühe aus Meerwasser, Urin, Erbrochenem und Benzin der sich knöcheltief im Boot sammelt. Wir müssen also erst ein paar Westen verteilen und dann diese Leute abbergen um weitere Westen ausgeben zu können. Manchmal verstehen die Geflüchteten das wenn mit der Verteilung der Westen kurz gestoppt werden muss. Wenn nicht, kann Panik auf dem Schlauchboot ausbrechen. Und das ist ein Horror, nicht nur für die beiden Crews, die an den Booten arbeiten.

Als wir abends gegen 20.Uhr die letzten Menschen auf den Tanker gebracht haben wollen wir nur noch weg. Weg zu unserer nächtlichen Position, wo wir an der 24 Meilenzone treiben. Kaum sind wir unterwegs, ordnet Frontex an, dass alle vom Tanker runter müssen und auf ein Kriegsschiff sollen. Da möchte man nur noch irgendwas kaputt schlagen vor Wut!

Aber, wir machen weiter. Heute früh sind wir schon wieder um 3.00 im Einsatz um ein Schlauchboot zu retten. Und so geht es weiter, weiter, weiter. Da fällt mir die Frage des Krisenhelfers ein, die er mir vor unserer Abfahrt in Malta abends beim Bier gestellt hat: „Glaubst du an ein gutes Ende? Also von allem. Am Ende aller Tage.“ Ich hab ihm „Nein“ geantwortet, „Aber ich glaube an das Gute im Menschen“ und gelacht.
Und das Gute sehe ich hier seitdem wir im Einsatz sind bei allen 16 Crewmitgliedern. Sonst könnte ich das hier nicht machen!

Autor: Christian Ditsch

Freelance Photojournalist • Based in Berlin

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