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Sea Watch-2. Die Crew übt auf dem Weg in das Einsatzgebiet mit den Rettungsbooten (Tendern oder auch RIBs). 17.10.2016, Mediterranean Sea

Auf der Sea Watch-2 | 17.10.2016 | Teil 2

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Pink Floyd, ein Putsch und „Mann über Bord“ üben

Vomex-Kaugummis gegen Seekrankheit haben einen angenehmen Nebeneffekt, sie machen müde. Abends ist das ganz angenehm. Doof nur, dass sich mein Magen für den Wirkstoff gegen Übelkeit nicht interessiert hat. Naja, zumindest war ich am nächsten Morgen zu meiner ersten Wache auf der Brücke wieder halbwegs fit. Im ersten Sonnenschein hat eine der Ärztinnen Pink Floyd über die Anlage laufen lassen. Mit „Shine on you crazy diamond“ und 7 Knoten Richtung libysche Küste.


Beim morgendlichen Briefing erfahren wir von unserem „Head of misson“, dass in Libyen ein Putsch stattgefunden hat. Was der Herr Steinmeier wohl denkt? Der war doch letzten erst da und hat die Regierung so gelobt und Zusammenarbeit gelobt. Nun sollen sie einfach den Regierungspalast offen gelassen haben nachdem sie gegangen sind. In deutschen Medien finden wir darüber nur Randnotizen. Die englischen und französischen schreiben mehr.
Es ist unklar was das für unseren Einsatz bedeutet. Das Verhältnis zur Küstenwache war in den letzten Wochen etwas entspannter, Sea Watch und andere Organisationen durften zum Teil sogar innerhalb der 12 Meilenzone Menschen retten. Zu wem wird die Libyan Coast Guard halten? Zu der Regierung es nicht mehr gibt? Zu den Putschisten? Welchen Putschisten? Wie erhalten Nachrichten von verschiedensten Gruppierungen, die sich untereinander bekämpfen. Auch ist unklar, wie sich das auf die Logistik der Schleuser auswirkt. Es hat vor einigen Wochen in einer der Schlauchboot-Fabriken einen Brand gegeben.

Beim Briefing werden an die Crew die Aufgaben im Falle eines Überfalls verteilt. Ich soll im ersten Unterdeck bis nach vorne laufen, das Bullauge in der Wäscherei verschliessen und dann zu den anderen. Dabei darf ich meine Schwimmweste und mein Funkgerät nicht vergessen. Einen Probealarm wird es unangekündigt im Laufe des Tages geben. Das mit dem Fenster und dem Funkgerät hab ich hinbekommen, das mit der Schwimmweste nicht. Mist.

Es ist erstaunlich zu sehen, wie schnell 16 Menschen, von denen sich 14 vor ein paar Tagen nicht gekannt haben, zu einer recht gut funktionierenden Crew zusammenwachsen.

Sea Watch-2. Die Crew übt auf dem Weg in das Einsatzgebiet mit den Rettungsbooten (Tendern oder auch RIBs). 17.10.2016, Mediterranean Sea

Sea Watch-2. Die Crew übt auf dem Weg in das Einsatzgebiet mit den Rettungsbooten (Tendern oder auch RIBs). 17.10.2016, Mediterranean Sea

Nach dem Briefing dann die erste Übung auf dem Wasser. Die RIB- bzw. Tendercrews und die Krancrew machen sich für ihre Übung bereit. Im Hafen war es viel einfacher als hier auf See. Wir haben nur leichte Dünung und trotzdem schaukelt das Schiff so, dass wir beim Gang über Deck festhalten muss. So ein 500 bis 600 Kg schweres RIB bringt die Krancrew da ziemlich ins schwitzen. Bis das erste RIB im Wasser ist vergeht einige Zeit. Immer wieder lässt der „Head of Mission“ den Kran anhalten, damit die Crew die Möglichkeit hat das RIB am Kranhaken wieder zu stabilisieren. Tips für das halten der Taue werden gegeben, das ein oder andere Tau anders gespannt.

Als beide RIBs mit den eingeteilten Besatzungen im Wasser sind, machen sich die Fahrer mit den Booten und ihrem Verhalten auf dem Wasser vertraut. Die Motoren müssen jetzt zeigen was sie können und das tun sie. Die Crews haben ziemlichen Spass bei den Fahrübungen, wohl wissend um was es die kommenden Tage geht. Sie üben bei hohem Tempo und Wellengang schnell und dennoch sicher zu fahren. Alle Crewmitglieder von Mission 13. müssen das ein- und aussteigen vom Mutterschiff in ein RIB üben, denn es kann sein, dass alle mit einem RIB raus zu einem Boot mit geflüchteten müssen. Nicht allen gelingt das gut, die RIB-Fahrer meistern diese Situationen aber gut. Da zeigt sich ihre jahrelange Erfahrung in Einsätzen bei Greenpeace in Deutschland und Frankreich. Dabei vergessen sogar die Seekranken, dass ihr Magen grade nicht so will wie sie es gern hätten.

Sea Watch-2. Die Crew der 13. SAR-Mission ist auf dem Weg in ihr Einsatzgebiet vor der libyschen Kueste. Im Bild: Die Crew uebt auf dem Weg in das Einsatzgebiet mit den Rettungsbooten (Tendern oder auch RIBs). 17.10.2016, Mediterranean Sea Copyright: Christian-Ditsch.de [Inhaltsveraendernde Manipulation des Fotos nur nach ausdruecklicher Genehmigung des Fotografen. Vereinbarungen ueber Abtretung von Persoenlichkeitsrechten/Model Release der abgebildeten Person/Personen liegen nicht vor. NO MODEL RELEASE! Nur fuer Redaktionelle Zwecke. Don't publish without copyright Christian-Ditsch.de, Veroeffentlichung nur mit Fotografennennung, sowie gegen Honorar, MwSt. und Beleg. Konto: I N G - D i B a, IBAN DE58500105175400192269, BIC INGDDEFFXXX, Kontakt: post@christian-ditsch.de Bei der Bearbeitung der Dateiinformationen darf die Urheberkennzeichnung in den EXIF- und IPTC-Daten nicht entfernt werden, diese sind in digitalen Medien nach §95c UrhG rechtlich geschuetzt. Der Urhebervermerk wird gemaess §13 UrhG verlangt.]

Sea Watch-2. Die Crew übt auf dem Weg in das Einsatzgebiet mit den Rettungsbooten (Tendern oder auch RIBs). 17.10.2016, Mediterranean Sea

Ich überlege, wo und wie ich meinen wasserdichten Sack mit Fotoequipment verstauen kann, alles ist nass und was nicht verzurrt ist fliegt durch die Gegend. Nach 5 Minuten bin ich so nassgespritzt, dass ich überlege, richtig ins Wasser zu gehen, das Mittelmeer ist hier unglaublich warm. Ich schüttel über mich selber den Kopf, ausgerechnet ich, der schwimmen nicht mag und tiefes Wasser eher spooky findet!

Nach einem kurzen Funkspruch mit dem „Head of Mission“ ist klar, ich bin der Proband für die Übung „Mann über Bord“. Bald darauf schwimme ich in Badehose, T-Shirt und Rettungsweste im Wasser. Oha, da ist viel, sehr viel Wasser um mich herum und Wellen von „nur“ 1,5m sehen hier unten ganz anders aus als vom Schiff. Da kommt eine Wand auf einen zu. So manches Mal verschwinde ich im Wellental und kann weder die RIBs noch die Sea Watch-2 sehen. Das sollten sich mache Politiker*nnen auch mal von hier unten anschauen bevor sie über Geflüchtete herziehen, urteilen und ihre Reden schwingen. Finde ich.
Nachdem ich acht Mal von verschiedenen Crews aus dem Wasser gezogen wurde, bin ich dann doch froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und unter der Dusche zu stehen.

Von 23 bis 3 Uhr die nächste Wache. Immer noch fast Vollmond und wieder Pink Floyd. Wir fahren mit 7 Knoten durch leichte Wellen und beobachten das Radar. Weit ist es nicht mehr bis wir da sind. Während der Wache begleiten uns an Steuerbord die „Vos Hestia“, ein Rettungsschiff der Organisation „Save the Children“, welches wie wir vor die Küste will um Menschen zu retten und an Backbord ein Kriegsschiff, auf dem Radar daran erkennbar, dass es ein großes Echo ohne Kennung gibt. Beide sind mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Das Radar hat sie in 23 Meilen Entfernung geortet.
Kurz vor der 24 Meilenzone stoppt unser Kapitän das Schiff und lässt es nur vom Wind und Wellengang weiter treiben. Das Kriegsschiff und die Ves Hostia bleiben unsichtbar hinter dem Horizont gleich auf.
Die Wellen schaukeln das Schiff jetzt wesentlich mehr durch als bei Fahrt, mein Magen macht sich sofort bemerkbar. Ich freue mich, gleich liegen zu können. Ab Dienstag werden wir mit Ferngläsern und Radar suchend an der 24 Meilenzone treiben.

Autor: Christian Ditsch

Freelance Photojournalist • Based in Berlin

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