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Auf der Sea Watch-2 | 16.10.2016 | Teil 1

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Neugierig auf das was da kommt

Zwei Tage Briefings und Vorbereitungen an Land für die 13. Mission der Sea Watch-2 sind vorbei. Es ist die letzte Nacht im Hafen von Valetta auf Malta.
Wir sind 16 Menschen an Bord und werden die kommenden zwei Wochen alles versuchen um Menschen zu retten. Menschen, die ohne unsere Hilfe keine Chance haben werden ein neues und hoffentlich besseres Leben zu beginnen.

Malta | Sea Watch-2

Die Sea Watch-2 an ihrem Liegeplatz im Haven von Valetta auf Malta. 15.10.2016, Malta

In den Briefings wurden wir vorbereitet auf das was uns erwartet und erwarten kann. „Resepekt“ sagt Ingo, der Head of Mission, „Respekt ist wichtig für alles und alle. Gegenüber den Mitgliedern der Crew, dem Schiff, der Arbeit der Leute an Bord.“ „Alles was wir dem Schiff geben, gibt es uns zurück“. Klingt nach Seemannsweisheiten, ist aber so. Wird das Schiff nicht sorgfältig und mit Respekt behandelt, wird dies der Crew eines Tages im Ernstfall Probleme machen. Wenn wir untereinander nicht sorgsam mit uns umgehen ebenfalls. Leere Wasserflaschen haben nun mal nicht herum zu liegen. Einmal drüber gestolpert und der Knöchel kann kaputt sein oder im schlimmsten Fall über Bord gefallen werden. Ein „Worst Case“.
Und dann ist der Respekt gegenüber den Geflüchteten wichtig. Die „Gäste“, wie der „Head of Mission“ sie nennt, kommen aus einer für uns kaum vorstellbaren Situation in unsere Obhut. Dehydriert, seit Tagen ohne Wasser und Essen. Manche von ihnen sind seit über 2 Jahren auf der Flucht und haben die letzten Monate in den berüchtigten Sklaven- und Folter-Lagern in Libyen verbringen müssen bevor sie in Boote gepfercht wurden und auf das Mittelmeer geschickt wurden. Sie haben meist kein Handy, keinen Kompass und kein Wasser an Bord. Oft sind es 11 Meter lange Schlauchboote, die mit bis zu 160 Menschen vollkommen überladen sind. Keines der Boote hat jemals eine realistische Chance Europa zu erreichen. Es sei denn, sie könnten über hunderte Seemeilen bei Wind und Strömung einen Kurs halten von dem sie keine 2 Grad abweichen dürfen. Und das mit einer einzigen Tankfüllung für den Aussenbordmotor. „Ein Ding der Unmöglichkeit, da hat man eher einen Hauptgewinn im Lotto“ sagt ein Crewmitglied. Sollte tatsächlich mal ein Handy an Bord eines Bootes sein, wird damit  das „Maritime Rescue Coordination Centre“ MRCC in Rom angerufen.  (Un)passender Weise ist diese nationale Leitstelle zur Koordination der Seenotrettung in Italien beim Verkehrsministerium angegliedert. Das MRCC gibt die Angaben dann an die Schiffe in der Region weiter und die machen sich dann auf die Suche.
Ein sehr eindrücklicher Teil war im Briefing der Versuch einer Vorbereitung auf den Umgang mit Toten. Soweit eine theoretische Vorbereitung überhaupt möglich ist. Bis zur Abfahrt sollen wir uns Gedanken machen, ob wir uns zutrauen Leichen zu bergen und an Bord zu bringen – Ja, Nein, Vielleicht. Ich bin mir nicht sicher, was ich für eine Antwort geben kann.

Wir haben das Schiff und uns soweit vorbereitet, dass wir am 16. Oktober in den Abendstunden auf unsere 26stündige Fahrt in das Einsatzgebiet an der 24 Meilenzone aufbrechen können. Davor wird es die letzten praktischen Briefings geben. Wie wir bei einem Feuer zusammenarbeiten müssen oder bei „Mann über Bord“ reagiert werden muss. Auch wie wir zusammenarbeiten wenn unsere RIBs, die „Rigit Hull infaltable Boats“ werden wir üben und dann unserem Magen die erste Prüfung in Sachen Seekrankheit unterziehen.

Ich bin neugierig. Neugierig wie ich als Fotojournalist arbeiten werde, denn dafür bin ich hier. Neugierig wie ich als Crewmitglied arbeiten werde. Neugierig auf die Erfahrungen die ich machen werde und meinen Umgang damit. Neugierig auf die Leute und den Einsatz.

D16M1015SeaWatch193952.jpg

Gruss der Crew 12 der Sea Watch-2 fuer die Crew 13 . 15.10.2016, Malta

Autor: Christian Ditsch

Freelance Photojournalist • Based in Berlin

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